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"Deutschen Herbst" so weit, die Wiedereinführung der Todesstrafe oder Sippenhaft-Maßnahmen
gegen die Familien der Terroristen zu erwägen.
1979 (Juli) Professor Karl Carstens (CDU) wird fünfter Bundespräsident.
1980 (Frühjahr) aus verschiedenen Bürgerinitiativen, der Umweltschutzbewegung und der
Protestwelle gegen die geplante atomare Nachrüstung der NATO entsteht eine neue Partei, die
"Grünen"; die ebenfalls mitbegründenden ehemaligen CDU-Anhänger und rechtsorientierten "Blut
und Boden"-Grünen werden bald verdrängt, nach ersten Wahlerfolgen (seit 1983 im Bundestag,
bald darauf Regierungsbeteiligung in Hessen) schlägt die Partei einen zunehmend
fundamentalistischen Kurs ein; erst seitdem die Grünen auch auf Bundesebene in
Regierungsverantwortung eingebunden sind (seit 1998 Koalition mit der SPD in Berlin), haben sich
die "Realos" um Joschka Fischer durchsetzen können – mit der Folge, daß das einstige ökologische,
soziale und pazifistische Profil der Partei beinahe restlos aufgegeben worden ist.
1980 Franz-Josef Strauß Kanzlerkandidat: mit Hilfe der Drohung, die Fraktionsgemeinschaft
mit der Schwesterpartei aufzukündigen, setzt die CSU ihren Vorsitzenden, den bayerischen
Ministerpräsidenten Strauß, als Kanzlerkandidaten durch, der für die Union gegen Helmut Schmidt
antreten soll; CDU/CSU erzielen 44,5% und stellen wie bisher die stärkste Bundestagsfraktion.
1981 (Januar) Griechenland wird als 10. Mitglied in die Europäische Gemeinschaft
aufgenommen.
1982 ein Redakteur der Illustrierten "Stern" entdeckt vermeintliche Hitler-Tagebücher, die
nach einigen triumphalen Teilveröffentlichungen als phantasievolle Machwerke des schwäbischen
Bilderfälschers Konrad Kujau entlarvt werden – der peinliche Skandal bringt Kujau und den
Redakteur Heidemann ins Gefängnis, untergräbt den Ruf mehrerer Historiker und zerstört auf Jahre
hinaus das Ansehen des "Stern".
1982 (Oktober) die "geistig-moralische Wende": nachdem die sozialliberale
Regierungskoalition über der Nachrüstungsfrage zerbrochen und die FDP unter Genschers Führung
zur CDU übergewechselt ist (daher zeitweilig das Verb "genschern" für opportunistisches Wechseln
der Partnerschaft), wird Helmut Schmidt durch konstruktives Mißtrauensvotum abgewählt und der
CDU-Vorsitzende Helmut Kohl, mit dem Genscher persönlich befreundet ist, neuer Kanzler der
Bundesrepublik.
1983 (März) bei der Bundestagswahl wird die Koalition aus CDU/CSU und FDP bestätigt;
die neue Regierung tritt mit umfassenden Reformabsichten in konservativem Sinne an, die von
Brandt und Schmidt abgeschlossenen Ostverträge werden jedoch nicht revidiert; auch
sozialpolitisch werden unter Kohl keine nennenswerten Einschnitte gemacht; dennoch entwickelt
sich die Wirtschaft wieder positiv, die Arbeitslosenzahl geht zunächst zurück.
1984 (Juli) Richard von Weizsäcker (CDU) wird sechster Bundespräsident.
1985 (März) Michail Gorbatschow wird neuer Staats- und Parteichef in der Sowjetunion; von
westlichen Politikern zunächst verteufelt, vom CDU-Generalsekretär Geißler mit Joseph Goebbels
verglichen, bringt der neue Mann in Moskau durch seine "Perestroika"-Politik der inneren
Lockerung und außenpolitischen Gesprächsbereitschaft das altstalinistische Regime in der SBZ bald
in arge ideologische Bedrängnis: Honecker will nur die staatsrechtliche Anerkennung der "DDR",
keine wirkliche deutsch-deutsche Annäherung.
1985 (Mai) Staatsbesuch des Amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan; in Bitburg wird
gefallener Angehöriger der Waffen-SS gedacht, im KZ Bergen-Belsen der Opfer des
Nationalsozialismus.
1986 (Januar) mit dem Beitritt Spaniens und Portugals wird die Europäische Gemeinschaft
auf 12 Mitgliedsländer erweitert.
1986 (April) die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl schärft erneut das Bewußtsein in der
deutschen Öffentlichkeit über die Gefährlichkeit der Atomkraft und verschafft den "Grünen"
weiteren Zulauf.
1987 (September) die "Barschel-Affäre": einen Tag vor der schleswig-holsteinischen
Landtagswahl meldet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", der CDU-Ministerpräsident Uwe
Barschel habe den SPD-Gegenkandidaten Björn Engholm bespitzeln und mit falschen
Anschuldigungen bewußt diskreditieren lassen; die Wahl selber ergibt ein Stimmenpatt im Landtag,
Barschel schwört, die Vorwürfe des "Spiegels" seien vollkommen abwegig; dennoch tritt er unter
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