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regierender Bürgermeister von Berlin, wird Vizekanzler und Außenminister; durch die erfolgreiche
               wirtschaftspolitische  Zusammenarbeit  von  Finanzminister  Franz  Josef  Strauß  (CSU)  und
               Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD), die  sogenannte konzertierte Aktion, wird die  Rezession
               überwunden.
                     1967 (Juni) Staatsbesuch des Schahs von Persien in Deutschland; bei einer Protestaktion in
               Berlin  wird  der  demonstrierende  Student  Benno  Ohnesorg  von  einem  Polizisten  erschossen;
               daraufhin eskalieren die studentischen Unruhen in mehreren westdeutschen Städten, es formiert sich
               die  sogenannte  außerparlamentarische  Opposition  (APO);  aufgehetzt  von  der  "Bild"-Zeitung  des
               Axel-Springer-Verlags,  verübt  ein  geistig  verwirrter  Arbeiter  einen  Mordanschlag  gegen  den
               marxistischen  Studentenführer  Rudi  Dutschke;  durch  solche  Vorfälle  weiter  radikalisiert,  spaltet
               sich die studentische 68er-Bewegung zu Beginn der 70er Jahre in zwei Richtungen: Extremisten
               wie  Ulrike  Meinhof  und  Gudrun  Ensslin  gehen  in  den  Untergrund,  gründen  die  "Rote  Armee
               Fraktion" und  halten die  Bundesrepublik rund 20 Jahre  hindurch  mit terroristischen  Aktionen  in
               Atem;  die  andere  Seite,  bestehend  aus  "Spaß-Revoluzzern"  und  Gelegenheits-Steinewerfern  wie
               Joschka Fischer und Jürgen Trittin, schließt sich der SPD, der von der SBZ finanzierten DKP oder
               später  den  neugegründeten  "Grünen"  an  und  begibt  sich  auf  den  "langen  Marsch  durch  die
               Institutionen"; vorgeblich soll so der Staat von innen her unterwandert werden, tatsächlich haben
               sich die meisten Alt-68er mit vielen einst bekämpften reaktionären Positionen versöhnt und zum
               Teil erstaunliche berufliche Karrieren gemacht, sind etwa Umwelt- und Außenminister geworden.
                     1968 (Juni) Einführung von Paß- und Visumszwang im innerdeutschen Reiseverkehr durch
               die  Regierung  der  DDR;  die  sowjetische  Besatzungszone  besteht  jetzt  auf  einer  eigenen
               Staatsbürgerschaft und kassiert von westdeutschen Besuchern Eintrittsgeld (Zwangsumtausch von
               Devisen in wertlose "DDR"-Mark).
                     1969 (März) Gustav Heinemann (SPD) wird zum dritten Bundespräsidenten gewählt.
                     1968  (August)  Truppen  des  Warschau  Pakts  (auch  der  "DDR")  und  sowjetische  Panzer
               schlagen in der Tschechoslowakei den Prager Frühling nieder, eine aus der kommunistischen Partei
               hervorgegangene Volksbewegung für Demokratie und Freiheit von der sowjetischen Herrschaft.
                     1969 (September) Sozialliberale Koalition in Bonn: aus der Wahl geht als neue Regierung
               eine Koalition aus SPD und FDP, angeführt von Willy Brandt als Bundeskanzler und Walter Scheel
               als  Außenminister,  hervor;  dank  eines  umfangreichen  Reformprogramms  und  Brandts
               Ankündigung, man wolle "mehr Demokratie wagen", wird die erste SPD-Regierung seit 1930 mit
               großen  Erwartungen  und  Hoffnungen  begrüßt;  deutschlandpolitisch  will  Brandt  die  "DDR"  als
               eigenen Staat anerkennen, dabei jedoch nicht von der Westbindung der Bundesrepublik abrück.
                     1970 (März) Treffen zwischen Bundeskanzler Willy Brandt und SBZ-Oberhaupt Willi Stoph
               in Erfurt, wobei Brandt von der "DDR"-Bevölkerung überschwenglich bejubelt wird – obwohl ohne
               konkrete politische Ergebnisse, gilt das Treffen als Ausgangspunkt der neuen Ostpolitik.
                     1970  (August)  Moskauer  Vertrag:  Außenminister  Scheel  und  sein  russischer  Kollege
               Gromyko unterzeichnen ein Abkommen über gegenseitigen Gewaltverzicht und Respektierung der
               real  existierenden  Landesgrenzen;  damit  gibt  die  sozialliberale  Regierung  die  seit  1945  unter
               polnischer  und  russischer  Herrschaft  stehenden  ostdeutschen  Gebiete  völkerrechtlich  preis  und
               sanktioniert nachträglich die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Pommern, Schlesien, Ost-
               und Westpreußen.
                     1970  (Dezember)  Warschauer  Vertrag:  der  Bundeskanzler  erklärt  auch  gegenüber  Polen
               vertraglich den Verzicht auf Rückgabe der besetzten deutschen Territorien und bestätigt die Oder-
               Neiße-Linie  als  auch  künftig  gültige  Ostgrenze  Deutschlands;  insofern  symbolisiert  Brandts
               "Kniefall  von  Warschau"  nicht nur eine Ehrung  der Opfer  von  Krieg und  Konzentrationslagern,
               sondern  auch  die  Kapitulation  deutscher  Politik  vor  den  von  Stalin  geschaffenen,  von  den
               Westalliierten gebilligten geopolitischen Tatsachen.
                     1971 (Mai) SED-Generalsekretär Ulbricht wird vom Zentralkomitee der Partei gestürzt und
               an  der  Staatsspitze  der  "DDR"  durch  den  ehemaligen  Jugendführer  und  am  Mauerbau
               Mitverantwortlichen Erich Honecker ersetzt .
                     1971 (Dezember) Willy Brandt erhält für seine Ostpolitik den Friedensnobelpreis.
                     1972  (April)  nachdem  mehrere  FDP-  und  SPD-Abgeordnete  wegen  der  Ostpolitik  zur
               CDU/CSU-Fraktion  übergewechselt  sind,  versucht  diese  im  Bundestag,  Willy  Brandt  durch
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