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nicht Herrn Standhartner sprechen könne, oder ob nicht sonst wer
                            im  Hause  sei  vom  alten  Personal?  Oh,  der  Herr  Standhartner,  o
                            mein Gott, der habe  längst das Cafe  verkauft, der sei gestorben,
                            und  der  alte  Oberkellner,  der  lebe  jetzt  auf  seinem  Gütel  bei
                            Krems. Nein, niemand sei mehr da . . . oder doch! Ja doch — die
                            Frau    Sporschil    sei  noch  da,  die  Toilettenfrau    (vulgo
                            Schokoladefrau).  Aber  die  könne  sich  gewiß  nicht  mehr  an  die
                            einzelnen Gäste erinnern. Ich dachte gleich: einen Jakob Mendel
                            vergißt  man  nicht,  und  ließ  sie  mir  kommen.  (St.  Zweig.  Die
                            unsichtbare Sammlung).


                            5. Lesen Sie den Text, übersetzen Sie ins Ukrainische und bestimmen Sie
                            den Gebrauch  des Konjunktivs!
                            Und drüben an seinem Tisch erzählte sie mir (manche Einzelheit
                            ergänzte  mir  später  anderer  Bericht)  von  Jakob  Mendels,  von
                            Buchmendels Untergang.
                            Ja also, er sei, so erzählte sie, auch  nachher  noch, als der  Krieg
                            schon  begonnen,  immer  noch  gekommen,  Tag  um  Tag  um  halb
                            acht  Uhr  früh,  und  genau  so  sei  er  gesessen  und  habe  er  den
                            ganzen  Tag  studiert  wie  immer,  ja,  sie  hätten  alle  das  Gefühl
                            gehabt  und  oft  darüber  geredet,  ihm  sei’s  gar  nicht  zum
                            Bewußtsein  gekommen,  daß  Krieg  sei.  Ich  wisse  doch,  in  eine
                            Zeitung  habe  er  nie  geschaut    und  nie    mit  wem  andern
                            gesprochen; aber auch wenn die Ausrufer ihren Mordslärm mit den
                            Extrablättern machten und alle andern zusammenliefen, nie sei er
                            da aufgestanden oder hätte zugehört. Er habe auch nicht gemerkt,
                            daß der Franz fehlte,der Kellner (der bei Gorlice gefallen sei), und
                            nicht  gewußt,  daß  sie  den  Sohn  vom  Herrn  Standhartner  bei
                            Przemsl gefangen  hatten, und nie kein  Wort habe er gesagt, wie
                            das  Brot  immer  miserabler  geworden  ist  und  man  ihm  statt  der
                            Milch  das  elende  Feigenkaffeegschlader  hat  geben  müssen.  Nur
                            einmal  habe  er  sich  gewundert,  daß  jetzt  so  wenig    Studenten
                            kämen, das war alles. — „Mein Gott, der arme Mansch, den hat
                            doch nichts gefreut und gekümmert als seine Bücher.“
                            Aber dann eines Tags, da sei das Unglück  geschehen. Um elf Uhr
                            vormittags, am hellichten Tag, sei ein Wachmann gekommen mit
                            einem  Geheimpolizisten,  der  hätte  die  Rosette  gezeigt  im
                            Knopfloch und gefragt, ob hier ein Jakob Mendel verkehre. Dann
                            wären  sie  gleich  an  den  Tisch  gegangen  zum  Mendel,  und  der
                            hätte ahnungslos noch geglaubt, sie wollten Bücher verkaufen oder
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