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„Aber Luitpold, verstehe doch!“ suchte die Mutter ihn zu
beschwichtigen.
„Natürlich, ich verstehe ja schon!“ zürnte der Vater.
„Ich muß wie stets hintenan stehen!“ Und als habe diese
furchtbare Feststellung seine sämtliche Energie entfesselt,
donnerte er los:
„Die Gans kommt auf den Weihnachtstisch mit
Rotkraut und gedünsteten Äpfeln! Dazu wurde sie
gekauft! Und basta!“
Eine Tür knallte zu.
Die Mutter wußte, daß in diesem Stadium mit einem
Mann und dazu noch einem Opernsänger nichts
anzufangen war. Sie setzte sich in ihr Zimmer über eine
Näharbeit und vergoß ein paar Tränen. Dann beriet sie
mit ihrer Hausgehilfin Theres, was zu tun sei, da bis
Weihnachten nur noch eine Woche war. Wer im Haus
würde es fertig bringen, Auguste ins Jenseits zu senden?
„Soll der Herr es selbst tun!“ schlug Theres vor. Die
Mutter fand diesen Rat nicht schlecht, zumal ihr Mann zu
der Gans nur geringe persönliche Beziehungen hatte.
Als nun der Sänger Luitpold Löwenhaupt abends aus
der Oper heimkam, wo er eine Heldenpartie gesungen
hatte, und die Mutter ihm jenen Vorschlag machte,
erwiderte er: „Oh, ihr Weibervolk! Wo ist der Vogel?»
Therese sollte leise die Gans herunterholen. Natürlich
wachte Auguste auf und schrie sofort aus vollem Hals.
Peterle und die Schwestern erwachten, es gab einen
Höllenspektakel. Die Mutter weinte, Theres ließ die Gans
flattern; diese segelte hinunter in der Hausflur. Vater
Löwenhaupt, der jetzt zeigen wollte, was ein echter Mann
und Hausherr ist, rannte hinter Auguste her, trieb sie in die
Ecke, griff mutig zu und holte aus der Küche einen
Gegenstand. Während die Mutter die Kinder oben im
Schlafzimmer hielt, ging der Vater mit der Gans in die
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