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Die Weihnachtsgans Auguste
Der Opernsänger Luitpold Löwenhaupt hatte bereits
im November vorsorglich eine fünf Kilo schwere Gans
gekauft, eine Weihnachtsgans. Dieser respektable Vogel
sollte den Festtisch verschönen. Gewiß, es waren
schwere Zeiten. „Aber etwas muß man doch fürs Herze
tun!“
Bei diesem Satz, den Löwenhaupt mit seiner tiefen
Baßstimme mehrmals vor sich hinsprach, so daß es wie
ein Donnerrollen sich anhörte, mit diesem Satz meinte der
Sänger im Grunde etwas anderes. Während er mit
seinen kräftigen Händen die Gans an sich drückte,
verspürte er zugleich den Geruch von Rotkraut und
Äpfeln in der Nase. Und immer wieder murmelte sein
schwerer Baß den Satz durch den nebligen Novembertag:
„Aber etwas muß man doch fürs Herze tun.“
Ein Hausvater, der eigenmächtig etwas für den
Haushalt eingekauft hat, verliert, sobald er seiner
Wohnung sich nähert, mehr und mehr den Mut. Er ist zu
Hause schutzlos den Vorwürfen und dem Hohn seiner
Hausgenossen preisgegeben, da er bestimmt unrichtig und
zu teuer eingekauft hat. Doch in diesem Falle erntete
Vater Löwenhaupt überraschend hohes Lob. Mutter
Löwenhaupt fand die Gans fett, gewichtig und preiswert.
Das Hausmädchen Therese lobte das schöne weiße
Gefieder; sie stellte jedoch die Frage, wo das Tier bis
Weihnachten sich aufhalten solle.
Die zwölfjährige Elli, die zehnjährige Gerda und das
kleine Peterle — Löwenhaupts Kinder — sahen aber hier
überhaupt kein Problem, da es ja noch das Bad und das
Kinderzimmer gäbe und das Gänschen unbedingt
Wasser brauche, sich zu reinigen. Die Eltern
entschieden jedoch, daß die neue Hausgenossin im
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