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wird. Striche und Punkte werden mit Stecknadelkuppen
erreicht. Das Wachs wird nach kurzer Zeit fest. Das so mit
Ornamenten verzierte Ei wird dann in eine vorbereitete
Farblösung getaucht. Danach wird es getrocknet und je
nach Wunsch des Künstlers mit weiteren Ornamenten
versehen und dann in eine andere Farbe getaucht. Später
wird das Wachs leicht erhitzt und mit einem weichen Lappen
abgewischt, so daß die bedeckten Stellen wieder erkennbar
sind. Dieser Vorgang kann beliebig wiederholt werden. Die
Kunstwerke werden am Gründonnerstag Kindern geschenkt,
die sie körbchenweise von ihren Verwandten nach Hause
tragen.
Da ich annehme, dieser Osterspaziergang in der Heimat
der Sorben hat Ihnen gefallen, setze ich voraus, daß Sie
einige Wochen später noch einmal in die Lausitz kommen,
und zwar am letzten Tag des April, weil da noch etwas
passiert, was ich Ihnen gern erzählen möchte.
Wir müssen auf den Abend warten. Wenn es dunkel
geworden ist, leuchten in den Dörfern, bis hinaus zu den
Lausitzer Bergen, Feuer auf. Riesige Scheiterhaufen werden
angebrannt, von Kindern des Dorfes zusammengetragene
Stangen, Bretter, Äste und Kästen, Reifen und Räder, und
darüber vor allem eine häßliche Puppe aus Lumpen und
Stroh, die Hexe, die mit Tänzen und Liedern und allerlei
feurigem Streich ins Jenseits befördert wird.
In Horka, dem Steinarbeiterdorf, verbrennt man die
Hexe auf einer Steinhalde, damit die Flammen weit zu
sehen sind und alle anderen übertreffen. Da knistert und
knastert es in dem glühenden Scheiterhaufen, und wenn die
Hexe ins Feuer fällt, macht man ihr Wehklagen nach und
wirft ihr brennende abgenutzte Besen hinterher oder dreht
sie im Kreise und schleudert sie dann weit von sich.
Der Sinn dieses Hexenbrennens ist Jahrtausende alt.
Der Mensch nimmt Abschied vom Bösen, Überlebten, er
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